Märchenerzählungen im Mittelalter und der frühen Neuzeit
- Stefan Ohm

- 28. Dez. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. März 2023
Fantastische Erzählungen und Märchen im Mittelalter und der frühen Neuzeit spielten eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Fantasy-Literatur und haben viele der Elemente und Themen eingeführt, die heute noch in Fantasy-Büchern und -Filmen präsent sind.
Das Mittelalter war eine Zeit, in der die Menschen viel Fantasie und Kreativität aufbrachten, um die Welt um sich herum zu erklären und zu verstehen. Die bekannten Erzählungen spiegelten diese Kreativität wider und boten den Menschen die Möglichkeit, in andere Welten einzutauchen und sich mit fiktionalen Figuren und Geschichten zu beschäftigen.

Die ersten bekannten Erzählungen entstanden bereits im frühen Mittelalter. Die Geschichten von Tausendundeiner Nacht sind eine Sammlung von persischen und arabischen Erzählungen, die wahrscheinlich im 9. bis 13. Jahrhundert entstanden sind. Sie wurden ursprünglich in der arabischen Welt als mündliche Tradition überliefert und erst später aufgeschrieben. Es wird vermutet, dass die ersten Erzählungen bereits im 3. Jahrhundert auf dem indischen Subkontinent entstanden sind. Später gelangten sie nach Persien, wo sie dann verschriftlicht wurden. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Sammlung von verschiedenen Autoren und Übersetzern bearbeitet und erweitert. Heute umfassen sie etwa 300 Erzählungen. Die Erzählungen aus 1001 Nacht sind vor allem durch die Geschichte der Scheherazade bekannt geworden, die den König von Persien dazu bringt, seine Absicht aufzugeben, jede Nacht eine Frau zu heiraten und am nächsten Tag hinzurichten. Stattdessen hört der König ihr jede Nacht gebannt zu, während sie ihm Geschichten erzählt.
Die Erzählungen sind voller Magie, Abenteuer und Romantik und handeln von Helden und Heldinnen, die gegen böse Könige und Zauberinnen kämpfen und ihre wahre Liebe finden. Sie enthalten auch viele bekannte Erzählmotive, wie zum Beispiel Aladin und die Wunderlampe, Sindbad der Seefahrer und Ali Baba und die 40 Räuber.

Ein weiteres bekannte Beispiel für frühe fantastische Erzählungen ist das Nibelungenlied, ein episches Heldenlied, das im 13. Jahrhundert in Deutschland verfasst wurde. Es erzählt die Geschichte von Siegfried, dem legendären König von Burgund, der gegen den bösen König Gunther und dessen Schwester, die Zauberin Kriemhild, kämpft. Das Nibelungenlied ist voller mythologischer Elemente, wie Riesen, Zwerge und Drachen, und zeigt die Macht der Liebe und der Treue. Im Mittelalter hatte das Nibelungenlied eine bedeutende Rolle in der deutschen Literatur und Kultur. Es war eines der bedeutendsten Heldenlieder und wurde in vielen Abschriften überliefert. Es wurde häufig in der mündlichen Überlieferung weitergegeben und hatte daher eine große Wirkung auf die Kultur und die Vorstellungen der Menschen im Mittelalter. Es war zudem auch ein wichtiger Teil der deutschen Nationalidentität und hat dazu beigetragen, die deutsche Kultur und die deutsche Sprache zu prägen.

Im mittelalterlichen England entstand zur gleichen Zeit die Artus-Sage, die vom legendären König Artus und seine Tafelrunde handelt. Die Artus-Sage wurde im 12. und 13. Jahrhundert verfasst und ist voller Fantasy-Elemente wie Magie, Ritterlichkeit und Mythen. Die Artus-Sage hat auch die Idee der "göttlichen Rechtmäßigkeit" eingeführt, die besagt, dass ein König das Recht hat, seinen Thron zu besteigen, weil er von Gott auserwählt wurde. Ebenso wie das Nibelungenlied trug die Artus-Sage zur Nationalidentität Englands bei.
Die wohl bekanntesten mittelalterlichen Erzählungen wurden gar nicht im Mittelalter verschriftlicht. Es sind nämlich die Märchen der Gebrüder Grimm, die von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm erst im frühen 19. Jahrhundert gesammelt und veröffentlicht wurden. Die Brüder waren deutsche Märchenforscher und Philologen, die sich darauf spezialisiert hatten, die mündlichen Überlieferungen von Märchen und Legenden zu sammeln und zu dokumentieren. Sie waren der Meinung, dass Märchen wichtige Quellen für die deutsche Kultur und Sprache sind und dass es wichtig ist, sie zu sammeln und zu bewahren, bevor sie verloren gehen.
Die Gebrüder Grimm begannen im Jahr 1806 damit, Märchen aus der mündlichen Überlieferung zu sammeln, und veröffentlichten ihre erste Sammlung im Jahr 1812. Diese Sammlung, die als "Kinder- und Hausmärchen" bekannt wurde, enthielt 86 Märchen. Später wurden mehrere Neuauflagen ihrer Märchensammlung veröffentlicht, in denen mehr Märchen hinzugefügt wurden. Die letzte Auflage, die im Jahr 1857 erschien, enthielt 210 Märchen.
Die Märchen der Gebrüder Grimm sind berühmt für ihre Fantasie, ihren Humor und ihre moralischen Lektionen. Sie sind voller Magie und Abenteuer und handeln von Helden und Heldinnen, die gegen böse Könige und Zauberinnen kämpfen. Es werden auch viele der bekannten Märchenmotive eingeführt, wie zum Beispiel das Aschenputtel, das Rotkäppchen und der Froschkönig. In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich diese Erzählungen zur klassischen Kinderliteratur, die weltweit bekannt ist.
Die fantastischen Erzählungen des Mittelalters trugen dazu bei, dass viele der heute bekannten Fantasy-Motive entstanden sind, wie zum Beispiel der Kampf zwischen Gut und Böse, die Macht der Magie und die Vorstellung von anderen Welten. Viele Fantasy-Autoren des 21. Jahrhunderts haben sich von diesen Motiven inspirieren lassen und sie in ihren eigenen Werken verarbeitet.




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