top of page

Vergessene Klassiker der Science-Fiction

  • Autorenbild: Stefan Ohm
    Stefan Ohm
  • 30. März
  • 4 Min. Lesezeit

Neulich bin ich auf dem Flohmarkt wieder viel zu lange am Bücherstand hängengeblieben. Wie üblich. Beim Durchschauen der Bücher in der SciFi und Fantasy Sektion hielt ich plötzlich Lobgesang auf Leibowitz von Walter M. Miller in der Hand. Der Titel sagte mir etwas und ich wusste, dass es auf einigen Bestenlisten vermerkt ist. Aber sonst konnte ich nichts zu dem Titel sagen. Das Cover jedenfalls sah interessant aus. Also nahm ich es mit und begann es begeistert zu lesen.


Der Roman Lobgesang auf Leibowitz bleibt auch heute noch hochaktuell, da er viele Themen behandelt, die nach wie vor von Bedeutung sind. Die Geschichte spielt Jahrhunderte nach einer verheerenden atomaren Katastrophe. In der postapokalyptischen Welt wird die Wissenschaft als Hauptverantwortliche für das Unglück angesehen und systematisch ausgelöscht. Das Buch schildert eindrucksvoll den mühsamen Weg der Menschheit zurück zum Wissen und zur Zivilisation.

Neben seiner tiefgehenden inhaltlichen Relevanz bietet Lobgesang auf Leibowitz auch großes Potenzial für populärkulturelle Adaptionen. Die Geschichte könnte hervorragend als Fernsehserie oder Videospiel umgesetzt werden. Dennoch gibt es bisher kaum Versuche, den Stoff für moderne Medien aufzubereiten. Abgesehen von einem BBC-Hörspiel aus dem Jahr 2012 scheint keine weitere Adaption in Planung zu sein. Immerhin gibt es einige inhaltliche Überschneidungen zu Fallout, welches ähnliche Themen behandelt.


Lobgesang auf Leibowitz - Buchcover
Lobgesang auf Leibowitz - Buchcover

Ich frage mich, wie dieses Buch außerhalb der Fanszene so in Vergessenheit geraten konnte. Und wie viele andere Klassiker ein ähnliches Schicksal erfahren haben. Die SciFi-Literatur ist ein schier unendliches Universum voller visionärer Ideen, kühner Zukunftsentwürfe und gesellschaftskritischer Fragestellungen. Während einige Werke von Autoren wie H.G. Wells, Isaac Asimov oder Philip K. Dick fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind, gibt es zahlreiche Bücher, die trotz ihres literarischen Werts wie eben Lobgesang auf Leibowitz in Vergessenheit geraten sind. Oft waren sie ihrer Zeit voraus, sprengten die damaligen Genregrenzen oder wurden schlicht von populäreren Veröffentlichungen überschattet. Doch ihre innovativen Konzepte und erzählerische Brillanz machen sie nach wie vor lesenswert.


Ein solches Beispiel ist Wir (1928) von Jewgeni Samjatin. Lange vor Orwells 1984 entwarf Samjatin eine dystopische Zukunft, in der das Individuum vollständig der staatlichen Kontrolle unterworfen ist. Sein Werk wurde in der Sowjetunion verboten, weil es den repressiven Charakter totalitärer Systeme schonungslos offenlegte. Auch Die Sterne mein Ziel (1956) von Alfred Bester verdient eine Wiederentdeckung. Die packende Geschichte eines Rachefeldzugs in einer Gesellschaft, in der Teleportation Alltag ist, gilt als früher Wegbereiter des Cyberpunk-Genres. Auf Alfred Bester bin ich bereits vor Jahren gestoßen, da ein bedeutender Charakter in der TV Serie Babylon 5 nach ihm benannt war. Empfehlenswert von Bester ist auch Sturm aufs Universum von 1951.


Ein weiteres nahezu vergessenes Meisterwerk ist Morgenwelt (1968) von John Brunner. Der Roman beschreibt eine überbevölkerte, von Umweltzerstörung und sozialer Ungleichheit geprägte Welt, in der Big Data und digitale Überwachung allgegenwärtig sind. Aus heutiger Sicht ein immer noch visionärer Entwurf, der die modernen Diskussionen um Datenschutz und Klimawandel vorwegnahm. Brunners eindringliche Zukunftsvision zeigt, wie SciFi lange vor dem Eintreten realer Entwicklungen als warnendes Medium wirkte.


Nicht weniger faszinierend ist Licht einer fernen Sonne (1974) von Leigh Brackett, das die Geschichte einer Gesellschaft erzählt, die nach einer Apokalypse jegliche Technologie ablehnt. Der Roman verbindet klassische Science-Fiction mit Elementen des Westerns und stellt die Frage, wie Fortschritt und Rückschritt definiert werden. Brian Aldiss Die dunkle Lichtjahre (1964) hingegen fordert mit der Darstellung einer fremdartigen Spezies unser Verständnis von Intelligenz und Zivilisation heraus.


Ein weiteres Werk, das oft übersehen wird, ist Frederick Pohls Gateway-Trilogie (1976). Die Geschichte erzählt von einer mysteriösen Raumstation, die von einer unbekannten, verschwundenen Alienrasse hinterlassen wurde. Menschen nutzen deren Technologie, um ins Ungewisse zu reisen, doch viele kehren nie zurück. Pohl verbindet spannende Erkundungselemente mit tiefgehender psychologischer Charakterstudie und einer düsteren Gesellschaftskritik. Seine Vision von interstellarer Exploration bleibt bis heute faszinierend und regt zum Nachdenken an. Anscheinend ist hier eine TV-Serie in Planung, die das Werk wieder bekannter machen könnte.  


Warum sind diese Klassiker in Vergessenheit geraten?


Es gibt viele Gründe, warum diese SciFi Werke nicht mehr die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Ein wesentlicher Faktor ist die Konkurrenz durch kommerziell erfolgreichere oder massentauglichere Bücher. Werke wie Orwells 1984 oder Huxleys Schöne neue Welt wurden zu Standardlektüre und verdrängten andere, teils ebenso visionäre Romane aus dem kollektiven Gedächtnis.


Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Wandel literarischer Trends. SciFi hat sich über die Jahrzehnte stetig weiterentwickelt, und neue Subgenres wie Cyberpunk, Hard Science-Fiction oder Space Operas haben viele ältere Werke aus dem Fokus der Leser verschwinden lassen. Bücher, die in ihrer Zeit bahnbrechend waren, wurden von späteren Generationen oft als überholt empfunden, obwohl sie inhaltlich weiterhin relevant geblieben sind.


Veröffentlichungspolitik spielt ebenfalls eine große Rolle. Viele dieser Romane sind lange Zeit nicht neu aufgelegt worden, da Verlage oft nur in die Publikation von Werken investieren, die einen sicheren Absatz garantieren. Ohne regelmäßige Neuauflagen und moderne Marketingstrategien geraten selbst großartige Bücher in Vergessenheit. Besonders Werke, die nicht ins klassische SciFi Bild passen oder sich durch komplexe Themen auszeichnen, haben es schwer, ein breiteres Publikum zu erreichen. Meine Kopie von Lobgesang von Leibowitz ist von 1979 und anscheinend gab es die letzte Auflage des Buches im Jahr 2000.


Auch der gesellschaftliche Kontext, in dem ein Buch erscheint, beeinflusst dessen Erfolg. Manche Werke waren ihrer Zeit so weit voraus, dass sie beim ursprünglichen Publikum auf Unverständnis stießen und erst Jahrzehnte später als visionär erkannt wurden. Andere hingegen berührten damals gesellschaftlich brisante Themen, die von der breiten Leserschaft gemieden wurden. Ein Beispiel hierfür ist das oben erwähnte Wir, das durch seine kritische Haltung gegenüber totalitären Regimen lange Zeit in der Sowjetunion zensiert wurde und erst viel später internationale Anerkennung fand.


Nicht zuletzt spielt die Rezeption in den Medien und der Wissenschaft eine Rolle. Während einige Werke durch Film- oder Serienadaptionen neu belebt wurden, sind andere weitgehend in Vergessenheit geraten, weil sie nicht in den literaturwissenschaftlichen Kanon aufgenommen wurden. Ohne akademische Auseinandersetzung oder populärkulturelle Referenzen verlieren viele Romane den Anschluss an nachfolgende Generationen von Lesern.


Eine Wiederentdeckung lohnt sich


Diese vergessenen Klassiker zeigen, wie tiefgründig und facettenreich SciFi sein kann. Sie erzählen nicht nur spannende Geschichten, sondern bieten auch visionäre Reflexionen über Gesellschaft, Technik und das Menschsein. Sie beweisen, dass SciFi weit mehr ist als reine Unterhaltung. Sie ist ein Spiegelbild unserer Ängste, Hoffnungen und Zukunftsvisionen. Wer bereit ist, über die bekannten Werke hinauszublicken, kann wahre literarische Schätze entdecken. Vielleicht ist es an der Zeit, einige dieser Bücher wieder zur Hand zu nehmen und sich von ihrer zeitlosen Relevanz überraschen zu lassen. Lobgesang auf Leibowitz ist jedenfalls sehr zu empfehlen.

 
 
 

Kommentare


bottom of page